In der anwaltlichen Praxis begegnet man oft Fallkonstellationen, in denen sich die eine oder die andere Partei eines auf „Gewohnheitsrecht“ rückführbaren Anspruches berühmt. „Das sei doch gewohnheitsrechtlich erlaubt“ oder „darauf bestehe ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch“ heißt es dann oft. Zur Begründung wird gern argumentiert, dass sich das „Gewohnheitsrecht“, auf das man seinen Anspruch stützt, aus einer jahrelang praktizierten Übung ergebe. Sinngemäß heißt es dann: „Das wurde schon immer so gemacht.“ Praktisches Beispiel sind Fälle, in denen ein Nachbar meint, ihm stünde ein aus „Gewohnheitsrecht“ ableitbares Recht zu, ein angrenzendes, wenn auch fremdes Grundstück, überqueren zu dürfen.
Gerade wenn es um Wegerechte geht, entstehen aufgrund jahrelang praktizierter Übung Probleme zwischen Grundstückseigentümern. Untersagt der Eigentümer auf einmal die Überquerung seines Grundstücks, meint der von dieser Untersagung betroffene Nachbar die Weiternutzung aufgrund von „Gewohnheitsrecht“ verlangen zu können.
Fälle dieser Art landen nicht selten vor den Gerichten, die dann darüber entscheiden müssen, ob ein Wegerecht besteht oder nicht.
So lag auch der Fall, über den der Bundesgerichtshof (BGH) im Januar (Az. V ZR 155/18) zu entscheiden hatte.
Der BGH widersprach der Ansicht, das Wegerecht ergäbe sich schon aus jahrelang praktizierter Übung. „Die Kläger können sich nicht auf Gewohnheitsrecht berufen“, heißt es in einer Mitteilung zu dem Urteil. Zwar könne in speziellen Fällen ein Wegerecht auch aus Gewohnheit folgen, das gelte aber nicht im Verhältnis einzelner Grundstücksnachbarn untereinander, so die Karlsruher Richter. Gewohnheitsrecht könne nur „zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn“.
Das bedeutet, dass ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht nur dort entstehen kann, wo aufgrund langjähriger tatsächlicher Übung die Nutzung des Weges durch einen unbestimmten Personenkreis erfolgen durfte und gleichzeitig alle Beteiligten davon ausgingen, einer rechtlichen Verpflichtung bzw. Berechtigung zu folgen.
In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann nach dem Urteil des BGH ein Wegerecht grundsätzlich nur aufgrund schuldrechtlicher, d. h. vertraglicher Vereinbarung oder als sog. „Notwegerecht“ entstehen, nicht aber durch eine – sei es auch jahrzehntelange – Übung unter Grundstücksnachbarn.
Ein Notwegerecht kann entstehen, wenn an das betroffene Grundstück keine öffentlichen Wege führen, der Zugang also zwangsläufig über ein fremdes Grundstück erfolgen muss. Der Eigentümer, über dessen Grundstück der Notweg verläuft, hat dann aber Anspruch auf Entschädigung in Form einer angemessenen Geldrente für die Nutzung seines Grundstücks.
Ratsamer ist es jedoch, das Wegerecht mit dem Eigentümer des zu überquerenden Grundstücks direkt zu vereinbaren und durch einen Eintrag im Grundbuch in Form einer Dienstbarkeit abzusichern. Dann ist man auf der sicheren Seite.
Umgekehrt sollte, wer ein Grundstück kauft, vorher immer prüfen, ob ein Nutzungsrecht Dritter im Grundbuch festgeschrieben ist. Nur so kann ein Käufer erkennen, auf was er sich einlässt.